• Politik
  • Frankreichs umstrittene Rentenreform

Parlamentsdebatte endet ohne Ergebnis

Regierung bezichtigt La France Insoumise der »Sabotage« des Rentenreformgesetzes

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die auf zwei Wochen begrenzte Debatte in der Nationalversammlung über das Rentenreformgesetz der Regierung endete am Freitag um Mitternacht ergebnislos. Nur zwei von 20 Paragrafen wurden diskutiert und abgestimmt, 18 aus Zeitmangel nicht behandelt, darunter der besonders umstrittene Artikel 7, der das Rentenalter von 62 auf 64 Jahre anhebt. Gegen 23 Uhr waren noch etwas mehr als 7000 Änderungsanträge zu behandeln; ursprünglich waren es mehr als 20 000, die übergroße Mehrheit eingebracht vom Linksbündnis Nupes, vor allem von der Bewegung La France Insoumise (LFI).

Bürger lehnen Rentenreform ab

Doch während Kommunisten, Sozialisten und Grüne schon vor Tagen zum Zeichen des guten Willens ihre Anträge zurückgezogen hatten, was Jean-Luc Mélenchon als »unverständlich« missbilligte, bestand dessen LFI-Fraktion weiter auf der Behandlung ihrer Anträge. Gleichzeitig forderten die LFI-Abgeordneten eine Verlängerung der Debatte, was ihnen nicht zugestanden wurde. Dass La France Insoumise so die Parlamentsdebatte in die Länge zu ziehen und dadurch zu blockieren versuchte, hat Premierministerin Elisabeth Borne als »Sabotage« und antidemokratisch gegeißelt. Verhaltene Kritik kam aber auch aus den Reihen von Nupes. So nannte ein Sprecher der Partei der Grünen das Verhalten von LFI »taktisch falsch«.

Um die von zwei Dritteln der Franzosen abgelehnte Rentenreform möglichst zügig durchs Parlament zu schleusen, hatte die Regierung auf den fast noch nie verwendeten Artikel 47.1 der Verfassung zurückgegriffen. Der sieht für weniger bedeutende Gesetzesanträge eine beschleunigte Behandlung vor, mit nur einer statt wie üblich zwei Lesungen und lediglich 50 Tagen in beiden Kammern des Parlaments. Nun wird der Entwurf des Rentenreformgesetzes ohne Votum der Nationalversammlung an den Senat weitergeleitet. Dort verfügt die rechte Oppositionspartei der Republikaner über die Mehrheit. Die Regierung erhofft sich Unterstützung ihrer Reformpläne und hat den Republikanern darum schon zahlreiche Zugeständnisse im Gesetzestext gemacht. Nach einer einwöchigen Parlamentspause beginnt am 28. Februar die Behandlung in den Kommissionen des Senats und am 2. März im Plenum. Dort muss die Debatte und Abstimmung bis zum 12. März um Mitternacht abgeschlossen sein.

Zu Beginn der darauf folgenden Woche wird der aus je sechs Angeordneten der Nationalversammlung und sechs Senatoren zusammengesetzte »Gemischte paritätische Ausschuss« des Parlaments zusammentreten, um einen Kompromiss der Ergebnisse in beiden Kammern zu suchen. Gelingt ihnen das, muss darüber noch abschließend in der Nationalversammlung und im Senat abgestimmt werden. Kommt keine Einigung zustande, wird die Regierung zum Artikel 49.3 der Verfassung greifen und die Abstimmung mit der Vertrauensfrage verbinden, was sie wegen des demokratisch fragwürdigen Charakters dieses Manövers eigentlich vermeiden will. Präsident Emmanuel Macron und seine Regierungschefin Elisabeth Borne sind andererseits fest entschlossen, alles zu tun, damit die Rentenreform noch in diesem Jahr in Kraft treten kann.

Frankreich steht vor Generalstreik

Die Gewerkschaften, die sich in der Ablehnung der Rentenreform und vor allem des Rentenalters von 64 Jahren einig sind wie selten zuvor, haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die Pläne der Regierung durchkreuzen und sie zur Rücknahme der Reform zwingen zu können. Nach fünf landesweiten Streik- und Aktionstagen im Januar und Februar mit jeweils 200 bis 250 Demonstrationen, an denen zwischen 1,6 und 2,8 Millionen Franzosen teilnahmen, wollen sie am 7. März einen »höheren Gang einlegen«, wie der CFDT-Vorsitzende Laurent Berger ankündigte. Für diesen Tag planen die Eisenbahner und die Beschäftigten der Energiewirtschaft sowie die Fachgewerkschaften verschiedener Branchen den Beginn unbegrenzter Streiks, die sich zu einem landesweiten Generalstreik ausweiten könnten.

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